Seit zwei Monaten bin ich jetzt wieder zuhause, ohne über die Monate Mai und Juni in Ecuador zu berichten, obwohl sie in vielerlei Hinsicht die schönsten, aber auch traurigsten waren.
Mein Geburtsmonat Mai begann relativ normal für Chone, die Schule ging zwar wieder los aber zu Sachas und meiner Überraschung sagte uns unser Präsident, wir müssen nicht hingehen weil es für 3 Wochen keinen Sinn hätte und wir lieber die letzte Zeit mit unseren Familien verbringen sollten. Also gingen unsere Ferien nahtlos weiter bis zum 16. Mai, an dem die letzte Reise mit Rotary losging, die Busreise durch das Hochland. Neun Tage sollte sie dauern und uns ca. 130 Austauschschüler besser mit der Natur und Kultur unseres Gastlandes vertraut machen. Zur Verdeutlichung der Route füge ich eine Karte Ecuadors ein.
Am Freitag, den 16. Mai trafen alle Schüler im Grand Hotel der größten und in der Küstenprovinz Guayas gelegenen Stadt des Landes, Guayaquil, ein (auf der Karte südlich, rot eingefärbt mit Flughafen). Dort nahmen wir an der Distriktkonferenz des rotarischen Distrikts 4400 teil, die wir mit unseren Flaggen, einem Vortrag und einigen musikalischen Beiträgen aufmischten.
Am nächsten Tag besuchten wir den Historischen Park Guayaquils, der neben der in der Costa typischen Vegetation auch einige Häuser aus der Kolonialzeit des Landes zu bieten hat. Hier bekamen wir außerdem eine Vorstellung von sogenannten Montubios, Bauern und Bewohner das Landes vor allem in Manabí, also in meiner Provinz. Sie haben einen sehr starken Akzent und eine einfache, aber herzliche Art. Auch ein Haus aus Zuckerrohr konnte man anschauen, die in Chone sogar mitten in der Stadt stehen.
Von den ca. 100 Höhenmeter in Guayaquil reisten wir in weniger als vier Stunden in Bussen bis auf 4160 Meter ü. NN zum nahe Cuencas gelegenen Nationalpark Cajas, in dem wir an einer Lagune Halt machten und uns ein wenig die Beine vertraten. Beim Aussteigen schlug uns diese kalte, unglaublich frische Luft entgegen, die die meisten Schüler aus der Costa gar nicht mehr gewohnt waren. Abends kamen wir in Cuenca an, der drittgrößten Stadt des Landes, in der Provinz Azuay.
Der 18. Mai begann mit einer Führung durch die historische Altstadt Cuencas, sie ist fast vollständig aus der Kolonialzeit erhalten. Mir und vielen anderen gefiel die Stadt unheimlich gut, ein Freund aus Portoviejo, eine Stunde von Chone entfernt, fragte spaßeshalber die Reiseleiterin, wo denn der Dreck und der Staub auf der Straße seien. Das drückte die Sache aber ziemlich genau aus: Cuenca ist sehr sauber und aufgeräumt, mit schönen Häusern und gebildeteren Menschen. Das fiel vor allem den Kindern aus der Küste auf. Nachmittags besuchten wir das unweit von Cuenca gelegene Örtchen Gualaceo, das für seinen schönen und preiswerten Gold- und Silberschmuck bekannt ist.
Nach einer weiteren Nacht in Cuenca war es soweit: ich war 17. Mein Tag begann mit der Besichtigung Ingapircas, der nördlich von Cuenca in der Provinz Canar gelegenen wichtigsten Ausgrabungsstätte der Inka in Ecuador. Hier befinden sich die Ruinen eines Mond- und eines Sonnentempels, der Ort soll ein wichtiges religiöses und strategisches Zentrum der Inka gewesen sein.
Das Feld mit der Ruine des Sonnentempels
Weiter ging es Richtung Norden zum nordwestlich der Stadt Riobambas gelegenen höchsten Vulkan Ecuadors, dem Chimborazo. Er hat eine Höhe von 6310 Meter und ist namensgebend für die Provinz. Alexander von Humboldt stellte hier auf seiner Südamerikaexpedition (1799-1804) die Symptome der Höhenkrankheit fest, nachdem er den Berg bis auf 5892 Meter erklommen hatte. Das machten wir natürlich nicht, sondern begnügten uns mit einer kleinen Wanderung mit einer indigenen Frau, einem Lama und einem Alpaka. Nachdem ich mit ein paar anderen Schülern die beiden sturen Tiere zu dem Hügel geführt hatte waren die anderen auch schon bereit zu gehen, aber ich konnte doch ein paar Fotos mit dem Vulkan machen.
Ich mit der ecuadorianischen Flagge vor dem Chimborazo
Lamaliebe
So gut wir uns auch mit den Tieren verstanden hatten, wenn wir an diesem Tag nicht mit leerem Magen bleiben wollten mussten wir wohl oder übel einen ihrer Artgenossen essen, der uns im Restaurant der indigenen Gemeinschaft Palacio Real serviert wurde. Das Lama sowie das Alpaka sind die einzigen einheimischen Nutztiere in den Anden Ecuadors, und so aßen sie die Indigenen zusammen mit den Meerschweinchen über Jahrhunderte hinweg. Mit der Haltung von Schweinen, Rindern etc. wurde das natürlich überholt, und so gibt es heute Lama nur zu besonderen Anlässen, wie zum Beispiel unser Besuch. Als Lasten- und Arbeitstiere und vor allem für die Wollgewinnung sind die Tiere auch heute noch in Gebrauch.
Nach diesem Ereignis fuhren wir weiter in die Hauptstadt der Provinz, Riobamba, dort bekam ich nach dem Abendessen gleich zwei Torten, eine schenkten mir die Rotarier, einen meine Freundinnen aus Portoviejo. Die typische ecuadorianische Tradition, die Nase oder in meinem Fall das ganze Gesicht in die Torte zu drücken, durfte natürlich auch nicht fehlen. Danach wurde natürlich noch ein bisschen gefeiert, ein schöner Abschluss für den bisher aufregensten Geburtstag meines Lebens.
Der fünfte Tag unserer Reise begann nach einer recht kurzen Fahrt in der Nähe des berühmten Kurorts Banos de Agua Santa, östlich von der Provinzhauptstadt Tungurahuas, Ambato, gelegen. Auch diese Provinz wurde nach einem Vulkan benannt. Hier wanderten wir ein paar Kilometer zu dem Wasserfall namens Pailón del Diablo, unter den man treten kann und infolgedessen komplett nass wird. Das macht aber nichts, denn da Banos tiefer und schon fast im Regenwald liegt herrscht dort ein angenehmes, warmes Klima. Weiter ging es an diesem Tag nach Puyo, Pastaza, das nun wirklich im Regenwald ist und wo unsere Herberge sogar einen Pool und Freizeitanlagen hatte, die wir natürlich nutzten.
Den in Puyo gelegenen ethnobotanischen Garten, der im Jahre 1993 gegründet und 15 Hektar groß heute aussieht wie ein natürlicher Regenwald, Omaere genannt, besuchten wir am darauffolgenden 21. Mai. Ethnobotanik ist die Wissenschaft vom Studium der Pflanzen im Bezug auf ihre Verwendung durch den Menschen als Nutzpflanze, Medizin, etc., Wikipedia sei Dank. Jedenfalls gestaltete der indigene Führer diesen Besuch sehr interessant, in zwei originalgetreuen Holzhütten der Völker Shuar und Waorani brachte er uns deren Lebensarten näher. Viele Vertreter dieser beiden Völker leben heute noch abgeschieden im Regenwald, nahe an ihren Traditionen.
Nun fuhren wir rund 240 Kilometer gen Norden in die wunderschöne Hauptstadt Ecuadors, das in Pichincha gelegene Quito. Der geneigte Leser meines kleinen Online-Tagebuchs kennt meine Beziehung zu dieser Stadt. Begonnen hat unser Besuch in der historischen, kolonialen Altstadt, die viele Kirchen und andere schöne Bauten aufzuweisen hat und von Kennern gerne als "schönste Hauptstadt Südamerikas" bezeichnet wird.
Weiter ging es am nächsten Tag mit der Fahrt mit dem TelefériQo, einer Seilbahn die auf einen Berg führt, vonwoaus man Quito in all seiner Pracht hätte bewundern können, wenn denn keine Wolken die Sicht verdeckt hätten. Naja, auf knapp 3000 Metern Höhe darf sowas durchaus mal passieren.
Spaß hatten wir dagegen im gut 20 Kilometer nördlich Quitos gelegenen San Antonio de Pichincha, wo das Äquatormonument Ecuadors liegt, das Touristen aus aller Welt anzieht, die dort reichlich Fotos schießen, was wir uns selbstverständlich auch nicht nehmen ließen. Die wenigsten wissen allerdings, dass das 1982 errichtete Denkmal nicht auf dem "richtigen" Äquator liegt, der rund 240 nördlich davon verlaufen soll, was neue GPS-Messungen zeigen.
Besser ein falscher Äquator, als gar keiner!
Nachdem wir am vorhergehenden Tag gut 100 Kilometer Richtung Norden in die Hauptstadt der Provinz Imbabura, Ibarra, gefahren waren, begann der vorletzte Tag unserer Reise mit einer Wanderung an der Lagune Cuicocha unweit der Stadt. Diese hat die Besonderheit, dass sie im Krater eines erloschenen Vulkans entstand, trotzdem ist ihr Wasser sehr kalt. Ich weiß das, weil drei meiner Freunde den Kick brauchten und sich kurzerhand dazu entschlossen, eine Runde baden zu gehen.
Die Kraterlagune Cuicocha
Der letzte Rest unserer Reise sollte hauptsächlich aus Shoppen bestehen: am Nachmittag besuchten wir gleich zwei Orte, Atuntaqui, das berühmt ist für die Herstellung und den dementsprechend günstigen Preise der Kleidung, und Cotacachi, das für seine Lederverarbeitung bekannt ist. Die meisten Schüler hatten bis zu dieser Reise gewartet, um ihre Mitbringsel für Familie und Freunde zuhause zu besorgen.
Den letzten Abend nutzten die Rotarier, allen voran Jorge Herrera Briones, der Distrikt-Chairman, um uns Urkunden über die Teilnahme und den erfolgreichen Abschlusses unseres Austauschs in Ecuador zu überreichen. Wer wollte, konnte einige Worte sagen, und es herrschte eine allgemeine schöne, dankbare, aber auch traurige Stimmung, uns war klar, in kurzer Zeit würde unser Jahr zu Ende sein und wir würden diese Personen, die uns so arg ans Herz gewachsen waren, für sehr lange Zeit nicht sehen.
Auch der Abschlusstag, der 24. Mai 2014, war dem Einkauf von Souvenirs gewidmet, in Otavalo, dessen Markt als größter und preiswertester Souvenirmarkt Ecuadors gilt.
Neun Tage waren wir miteinander durch unser wunderschönes Gastland gereist, 10 Monate kannten wir uns und hatten miteinander schöne und weniger schöne Momente. Der Abschied der Austauschschüler war traurig und tränenreich, doch wir können sagen: wir haben eine große Familie in aller Welt, und hatten die beste Zeit unseres Lebens!
Que viva Rotary! - Es lebe Rotary!